Karl Ulrich Nuss.
ZOO(UN)LOGISCH
18. Februar – 7. Mai 2023

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ZOOunLOGISCH – schon der Titel, mit der die Ausstellung von Karl Ulrich Nuss in der Galerie im Prediger überschrieben war, ließ aufhorchen, machte neugierig: mit gut dreißig wundersamen Zwitterwesen lud die Werkschau zum 80. Geburtstag des renommierten Bildhauers in einen nicht alltäglichen Zoo ein. In den großenteils noch nie gezeigten Skulpturen trat ein Sujet in Erscheinung, das in den letzten zehn Jahren die unverwechselbare Nuss´sche Figurenwelt mehr und mehr bereichert hat: das der Mensch-Tier-Mischwesen. Zu sehen waren Figuren von kafkaesk-humorvoller Natur, in denen sich wesensfremde Körperformen auf originelle Art wie lebendig verbinden: Mensch und Tier in einem „Büffelmann“, einer „Giräffin“ oder einem „Krokomann“, Tier und Tier in einer „Schlechse“ oder einem „Schlangenvogel“.

Mischwesen, fiktive Schöpfungen, die Eigenschaften von zwei oder mehr Lebewesen in einer neuen Gestalt vereinen, bevölkern die Phantasie der Menschen seit Urzeiten. Sie sind ein überzeitliches Thema, das sich inhaltlich immer wieder gewandelt und neu definiert hat. Zu den bekanntesten Darstellungen, die menschliche und tierische Merkmale verbinden, gehören mythologische Mischwesen, die sich bereits etwa 3.000 Jahren v. Chr. im Alten Orient und in Ägypten finden und von dort in die griechisch-römische Antike gelangten. In der bildenden Kunst kehrt das Thema seit dem Altertum in Zyklen immer wieder und ist bis heute Inspirationsquelle für Maler, Zeichner und Bildhauer – so auch für Karl Ulrich Nuss, der es in der ihm eigenen Art in das Konzept seiner realistisch-figürlichen Bildhauerei adaptierte.
Die Auseinandersetzung mit mythologischen Mischgestalten zeigt sich bereits im Frühwerk des Bildhauers. Sie spiegelt sich in Daphne-Figuren ebenso wider wie in Minotauren, Kentauren und Satyrn. Beispielhaft für die frühe Beschäftigung mit der Antike stehen in der Ausstellung zwei Skulpturen: Zum einen ein um 1974 entstandener „Vogelmann“, der an den falkenköpfigen Königsgott Horus der altägyptischen Mythologie denken lässt, bei Karl Ulrich Nuss allerdings in seiner ganzen natürlichen männlichen Körperlichkeit daherkommt – als nackter, auf Krallen stehender Mann mit Raubvogelkopf. Zum anderen in einer 1977 datierten „Medusa“, die mit ihrem nackten, fülligen Frauenkörper unter dem Schlangenkopf ebenfalls sehr menschliche Züge annimmt. Die bis heute anhaltende Aktualität der antiken Mythen und Zwitterwesen im Figurenpersonal des Bildhauers zeigt sich in der Ausstellung in einer „Artemis“ aus dem Jahr 2021 und einer „Leda mit Schwan“, die 2019 entstand.
Einen breiten produktiven Raum erfährt das Sujet der Mischwesen im Werk des Bildhauers im Verlauf der letzten zehn Jahre. In dieser Zeit entstehen nicht nur Wesen, die halb Mensch, halb Tier vorstellen, sondern auch Tier-Tier-Hybride. Diese Metamorphosen sind nicht mehr nur mythologisch aufgeladen. Vielmehr visualisieren diese neueren Mischwesen zum einen die Lust des Künstlers, sich über reale Gegebenheiten und gängige Konventionen hinwegzusetzen. Zum anderen verbildlichen sie das Ergebnis rein künstlerischer, phantasievoller Erfindungs- und Vorstellungskraft. Das Spektrum der Schöpfungen reicht vom „Büffelmann“ und „Giraffer“ über eine „Schlängin“ und „Gansfrau“ bis zur „Schlechse“. Ein allgegenwärtiges Resultat dieser Verschmelzungen ist ein subtiler Humor aus dem auch skurril anmutende, kafkaeske Geschöpfe hervorgehen können. Dazu gehört eine „Zecke“ mit ihrem „Zeckenkind“, die beide mit sehr menschlichen Gliedmaßen daherkommen.
Die Zwitterwesen von Karl Ulrich Nuss überschreiten die scheinbar festgeschriebenen Grenzen zwischen Tier und Mensch. Das Verhältnis von Mensch und Tier wird wohlwollend auf den Kopf gestellt. Auf geradezu selbstverständliche Art verbinden sich Realität und Fiktives, Vertrautes und Fremdartiges in einer Figur. In ihrer Grenzüberschreitung erzeugen sie eine Verunsicherung und befragen unserer Vorstellung von Körper und Identität.
Vita Karl Ulrich Nuss

1943 |
in Stuttgart geboren. Wohnt und arbeitet als freischaffender Bildhauer in Weinstadt-Strümpfelbach |
1961–1964 |
Studium an der Staatlichen Höheren Fachschule für das Edelmetallgewerbe Schwäbisch Gmünd. Abschluss als Ziseleur |
1964–1966 |
Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg bei Prof. Hans Wimmer |
1967–1970 |
Studium an der Hochschule für Bildende Künste Berlin bei Prof. Bernhard Heiliger |
1969 |
Meisterschüler bei Prof. Heiliger |
seit 1970 |
freischaffender Bildhauer in Strümpfelbach |
1972–1979 |
Lehrbeauftragter für „Plastisches Gestalten“ an der Fachhochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd |
2004 |
Ehrenprofessor des Landes Baden-Württemberg |
2013 |
Ehrenbürger der Stadt Weinstadt |
Katalog
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen mit Texten von Joachim Haller und Jörg Henning Kokott (44 Seiten, 10 Euro).